Where the streets have no name - My life a song

Where the streets have no name - Teil 1

Vor einigen Tagen spielte die Shuffelfunktion mir wieder einmal diesen Song ein. Bei einer Auswahl von 5000 Liedern kommt U2 relativ häufig vor, in meinen frühen 20ern war ich ein großer Fan, doch dieses Lied hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Sofort machte ich einen Trip down memory lane.

Während meiner Studienzeit war das Rattle & Hum Video ein ständiger Begleiter. Meine beste Freundin und ich würden als brave Studentinnen zuerst an unseren Uni-Projekten arbeiten, um uns dann zur Belohnung - und weil wir ein Image zu pflegen hatten -  ein paar leichte Drogen und entweder ein Guns & Roses – ihr Lieblingsvideo – oder mein U2-Video reinzuziehen. Lautes Mitsingen und Verärgern der Nachbarn war natürlich inkludiert, aber nie so schlimm, als dass die Polizei gerufen werden musste. Unser Musikgeschmack macht klar, dass wir uns Anfang der 90er Jahre befanden, am Anfang unseres Erwachsenenlebens und am Ende eines erschreckenden Jahrhunderts. Wir hatten keine Illusionen oder große Hoffnung für unsere Zukunft, als Kinder der 80er Jahre, die uns sauren Regen und Tschernobyl gebracht hatten, wuchsen wir in der Angst vor Atombomben, Umweltzerstörung und Neo-Nazis auf. U2s Predigten einer besseren Welt waren damals für mich ein guter Trost und feuerten meinen Idealismus an.


Where the streets have no name - Teil 2

Wir liebten unser Studentenleben Anfang der 90er und da wir Geisteswissenschaften studierten, hatten wir keine konkrete Vorstellungen davon, welche Art von Arbeit oder Karriere wir nach dem Studium anstreben sollten, irgendetwas zwischen Wissenschaftlerin und Journalistin vielleicht. Ich hatte gerade meine Kindheit überlebt und funktionierte weiterhin im Überlebenskampfmodus, tief in dem Glauben verwurzelt, ich würde ohnehin niemals dreißig werden. Folglich würde sich der Rest meiner kurzen Lebenszeit schon irgendwie ergeben. Langfristiges Zukunftsdenken erschien uns grotesk, geradezu pervers. Wir hatten alle 1983 den Film “Der Tag danach” gesehen, der einschüchternd klar die Folgen eines Atombombenkrieges zeigte, und die nationale und internationale Politik tat nichts, um uns zu versichern, dass unsere Zukunft sicher sei. Der Fall der Berliner Mauer 1989 war ein Wunder gewesen, das die gesamte Weltordnung, mit der wir aufgewachsen waren, einfach hinweggefegt hatte, doch dann fragten sich alle ratlos: Was kommt jetzt? In den 90er fand keiner eine Antwort darauf, und erst 9/11 2001 gab der Welt einen neuen Feind, auf den man alle Probleme abwälzen konnte. 

Für mich persönlich war das nahende Ende des Jahrtausends mit dem Ende meines Lebens verknüpft. Hinter der Zahl 1999 konnte ich mir einfach nichts vorstellen und hatte auch keine Erwarterungen an das neue Jahrhundert. Irgendetwas würde sich schon ergeben.


Where the streets have no name - Teil 3

I want to run, I want to hide.

Den Großteil meiner Jugend verbrachte ich damit, vor meiner Kindheit davonzulaufen, ich wollte vergessen, dass geliebte Menschen einem die schlimmsten Schmerzen zufügen können.

I want to tear down the walls that hold me inside.

Ich hatte mich in einem dicken Schutzmantel eingemauert und wollte dem Sarkophag meiner Vergangenheit entkommen. Nicht ohne Grund traf mich als 11jährige “The Wall” von Pink Floyd bis ins Mark, doch das ist eine andere Geschichte. Meine Mauern brachen nicht so einfach ein, aber in mir brannte eine Sehnsucht:

Ich wanna reach out and touch the flame

where the streets have no name.

Das war alles, was ich als junger Mensch wollte: die Flamme des Lebens berühren. Die zweite Hälfte der 90er verbrachte ich damit, die Welt zu bereisen, immer auf der Suche nach:

I want to feel sunlight on my face

 

um dann doch wieder in das düstere Österreich zurückzukehren, wo es keinen Schutz vor dem vergiftenden Regen gab. So startete ich das neue Jahrtausend ohne jeden Plan oder auch nur einer Idee, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. 

 


Where the streets have no name - Teil 4

Ich war gerade dreißig geworden, als das neue Jahrtausend begann, und ich hatte weniger Klarblick denn je. Mein Studium war beendet, es gab keinen Plan für die Zukunft und wenig Zufriedenheit in der Gegenwart. Ich lebte immer noch Wien, ohne interessante Jobaussichten, ohne ernstzunehmende Beziehung und in einer dunklen, aber sehr billigen Wohnung. 

The city's a flood, and our love turns to rust

We're beaten and blown by the wind

trampeld to dust

Erst als ich nichts mehr hatte, wagt ich den Absprung. Mitten in den Nuller-Jahren verließ ich Österreich, ging ins Ausland, um zwischen Wüste und Meer ein Hippie-Leben zu führen.

I'll show you a place

high on a desert plain

Where the streets have no name

Da war ich tatsächlich gelandet und glücklich. Viele Leute hielten mich für verrückt (“Was ist mit der Sozialversicherung, Karriere, Pension ect.?”), doch es war die beste Entscheidung meines Lebens. Immer, wenn ich jetzt diesen Song höre, jetzt, wo ich statistisch gesehen meine Lebensmitte schon überschritten habe, und mich mich an den Gedanken gewöhne, ich könnte vielleicht siebzig oder sogar achtzig Jahre alt werden, dann denke ich: Dort habe ich gelebt, wo die Straßen keine Namen haben (immer noch nicht!), und ich habe die Flamme berührt. 

Egal, wie alt ich werde, immer noch liebe ich das Sonnenlicht, das mein Gesicht berührt. Ich kann zu jeder Zeit ein positives Resüme meines Leben ziehen, selbst wenn es schon morgen vorbei sein sollte.


Where the streets have no name - Teil 5

Warum ich das aufschreiben und veröffentliche?

 

Der Text ist für all die jungen Leute, die zweifeln, ob sie ein Risiko eingehen sollen, ob sie ein Abenteuer wagen sollen, oder ob sie sich genügsam und brav in althergebrachten Bahnen weiter bewegen sollen. Wenn ihr einen solchen Song habt, der eine Sehnsucht beschreibt und Gefühle intensiviert, dann habt ihr eure Antwort.

Manche Leute sagen, wir leben an der Kippe zu einem neuen Weltkrieg, und es ist gut möglich, dass es ein Atombombenweltkrieg wird. Die Umweltzerstörung ist schlimmer denn je, und die rechten Nationalisten werden stärker und stärker. Als "Neo-Weimar" haben es sogar schon einige bezeichnet. Auch damals gab es warnende Stimmen, aber der Mensch mag einfach nicht aus der Geschichte lernen

Deswegen sage ich zu jungen Leuten: macht etwas aus eurem Leben, solange ihr noch könnt, findet raus, was ihr wirklich wollt, und wehrt euch gegen diejenigen, die euch für Krieg, Nation oder Geld verheizen wollen.

Touch the flame

 

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