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Nr. 29: Die Impfung ist da

Jetzt ist es also soweit. Diese Woche werde ich geimpft. Ich freue mich darauf. Schon lange warte ich auf diesen Termin und jetzt ist es endlich soweit. Und dann… 

 

Und dann fangen verschiedene Stimmen in meinem Kopf an zu diskutieren. Verblüffenderweise fange ich an, mir Sorgen zu machen. Ich verspüre Angst vor dieser Impfung. Nach fünfzehn Monaten Pandemie haben wir schon eine Impfung und damit die Chance, diese Pandemie zu überwinden. Das ging so schnell, das verunsichert verständlicherweise viele Leute, sogar mich.

 

Während dieser ganzen Zeit habe ich keiner dieser abstrusen Verschwörungstheorien geglaubt. Weder, dass mir ein Chip mit der Impfung implantiert wird, mit dem Bill Gates mich dann kontrollieren kann, noch, dass die Impfung meine Gene verändern und ich zum Zombie mutieren werde. Dennoch sind die all diese Stimmen in meinem Kopf, auch die von manchen Freunden, die absolute Impfgegner sind und auch nicht ihre Kinder impfen lassen wollen, wenn das dann möglich sein wird. 

 

Ausgerechnet ich habe Zweifel. Ich, die ich seit fast fünfzig Jahren niemals an der Wissenschaft oder der Wirksamkeit von Impfungen gezweifelt habe. Ich fand auch niemals einen Grund für Zweifel. Während dieser Pandemie sprach ich mit vielen Menschen, die in ganz unterschiedlichen Ländern wohnen, sogar mit einer Freundin in Kanada. Diese Leute, die teilweise auch in Krankenhäusern arbeiten, erzählten mir dasselbe, was mir die Medien erzählten. Es gibt also für mich keinen Grund anzunehmen, die Medien würden mich belügt. Auch verfolge ich nicht nur deutschsprachige, sondern auch englisch- und spanischsprachige Medien. Ich höre mir Nachrichten aus ganz Europa und den USA an, aber auch aus dem arabischen Raum und verfolge mit BBC World Geschichten aus Afrika, Südamerika und Asien. Es fällt mir schwer zu glauben, dass es eine weltweite Verschwörung gibt, bei der alle Beteiligten und Verantwortlichen dieselbe Lüge durchziehen. Ich meine, es gibt einfach zu viele Mitspieler.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ärzte, Journalisten, Politiker und Wissenschaftler aus China – einer Diktatur – uns genau dieselbe Lüge erzählen wie Ärzte, Journalisten, Politiker und Wissenschaftler aus Cambridge oder Brasilien. Menschen können sich ja nie auf etwas einigen, und hier hätten wir plötzlich eine weltweite Verschwörung, die von ein paar Drahtziehern im Hintergrund mühelos geheimgehalten wird? Die alle Medienkanäle in jedem Staat kontrollieren können, egal, ob Demokratie, Autokratie oder Diktatur? Ein paar wenige einflußreiche Leute können weltweit in fast zweihundert Staaten die öffentliche Meinung einheitlich manipulieren? Millionen von Ärztinnen, Krankenschwestern, Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen – Männer sind hier natürlich mitgemeint -  die alle dieselbe Lügengeschichte erzählen? Das scheint mir dann doch zu sehr an den Haaren herbeigezogen. 

 

Trotz dieser tiefgehenden Überzeugung bemerke ich überrascht meine emotionale Verunsicherung bezüglich der Impfung. Ich war doch mein ganzes Erwachsenenleben wissenschaftsgläubig. Ich studierte an der Universität Wien, arbeitete viele Jahre lang mit Wissenschaftlern zusammen, und habe sogar selbst ein wenig wissenschaftlich gearbeitet. Auch habe ich wegen zahlreicher Reisen schon viele Impfungen erhalten, die zum Teil in etlichen Ländern dieser Welt Vorschrift sind. Immer wieder bedauerte ich, dass es keine Impfung gegen Malaria gibt, auch weil ich diese Krankheit dann am eigenen Leib durchmachen musste. Als ich ein Kind war, war die Pockenimpfung gesetzlich vorgeschrieben, jedes Kind musste geimpft werden. Heute sind die Pocken weltweit ausgerottet. Ich lebte eine Weile in einer Gegend, in der es regelmäßig Hepatitis-Fälle gab. Einige meiner Freunde, die nicht geimpft waren, erkrankten daran und büßten ihre Impf-Ignoranz mit langjährigen gesundheitlichen Schädigungen. Für mich persönlich haben Impfungen immer funktioniert und niemals verspürte ich die geringste Sorge, dass diese nicht wirksam sein oder mir sogar Schaden zufügen könnten. Jetzt auf einmal habe ich Zweifel an diesem neuen, so schnell entwickelten Impfstoff.

 

Ich glaube immer noch hundert prozentig an die Wissenschaft. Ich glaube daran, dass das, was sie im Großen und Ganzen produziert, sinnvoll und nützlich ist. Und auch, dass diese Impfung gegen das Coronavirus mir helfen wird, nicht krank zu werden und die Chance, andere anzustecken, stark verringert. Weltweit sind mittlerweile schon Millionen Menschen geimpft worden, in Europa sind es mittlerweile über dreißig Prozent aller Einwohner, ich sollte keinerlei Angst haben. Doch das ständige Trommelfeuer der warnenden Stimmen über die Zweifel an der Wahrhaftigkeit diese Pandemie und an das Sinnhaftigkeit der Impfung in den sozialen Medien nagen auch an meinem Geist und meiner Zuversicht. Natürlich gehe ich zu dieser Impfung, natürlich lasse ich mich impfen, schon alleine deswegen, weil ich weiß: je mehr Menschen sich impfen lassen, desto schneller ist diese Pandemie vorbei. Und falls ich eine Schädigung von dieser Impfung davon trage oder sie zu einem früheren Tod beiträgt, dann ist das mein Opfer für die Gemeinschaft. Wir lieben doch alle diese Superhelden, von Indiana Jones bis Batman, diese Helden, die sich selbstlos zum Wohl anderer aufopfern. In diesem Fall kann ich mit der Superhelden-Tat Impfung meinen Beitrag zum Überleben der Gemeinschaft leisten. Ich opfere mich halt, damit andere nicht krank werden und sterben.

 

Neben dieser heroisch-ironischen Gedanken bleibt die Angst bestehen. Natürlich gehe ich trotz der inneren Verunsicherung dort hin, lasse mich stechen und nehmen in kauf, was immer danach kommt. Ich halte hier kein Plädoyer dafür, dass andere sich genauso wie ich verhalten sollten. Wie er oder sie mit dieser Frage umgeht, muss jeder selbst für sich entscheiden. Was ich verdeutlichen wollte, ist, wie eine schwere, weltweite Krise lebenslange Einstellungen, Meinungen und Überzeugungen erschüttern kann. Ich denke, mit diesen Gedanken bin ich nicht alleine, und deswegen wollte ich sie hier teilen. Also, auf geht's zur Impfung. Ich werde weiter berichten, wie es mir danach geht.


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